Der Zustand rasanter Veränderung verlagert den Blick nach vorn: in Richtung Zukunft. Doch um welche Zukunft geht es genau? Um eine, die wir gern hätten? Um die, von der wir glauben, dass sie kommt? Und wessen Zukunft überhaupt?
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Sich Zukünfte lediglich als Zeitlichkeiten, als Momente in der Zeit vorzustellen, führt dabei womöglich in die Irre. Aufschlussreicher hingegen könnte der Versuch sein, sie als Räume zu imaginieren. Räume für Dialog, Räume der Verhandlung, Räume des Ausdrucks (etwa von Empfindungen, Hoffnungen, Ängsten oder Verlusten). Design übernimmt an dieser Stelle eine Schlüsselrolle. Wenngleich es sich – wie wir längst wissen – auch nicht um einen Generalschlüssel handelt.
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Daniela Rosner fragt, welche Geschichten eigentlich das Design untermauern? Welche Narrative liegen ihm zu Grunde? Und daraus abgeleitet: Was für Methoden wären möglich, wenn wir diese Geschichten anders erzählen würden? Wie können wir diese Geschichten anders erzählen, um zu anderen Praktiken zu kommen?[1]
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Design hierbei freilich verstanden, als weiter gefasster Begriff einer im deutschen mit „Weltgestaltung“ nur unzureichend übersetzten Praxis des „Worldbuildings“. Es geht dabei nicht bloß um eine „Reflektion“ von Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten, sondern auch um das, was Rosner als „materializing these sort of ‚non-endings‘ or ‚non-impossibilities‘” bezeichnet. Die Dinge, die dabei rauskommen, fordern uns idealerweise dazu auf, uns mögliche oder unmögliche Zukünfte vorzustellen und vielleicht ja auch entsprechend danach zu handeln („They ask us to ‚imagine a future […] a future that is not just made […] or a kind of thing, but a world in the making”).
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Man könnte also sagen: Indem Rosner die Konturen einer fabulatorischen Praxis im Alltag untersucht und, sagen wir, versucht zu erweitern, hinterfragt sie unser Verständnis des Unbekannten, indem „herkömmliche“ Arten der Erkenntnis, des Erkennens und die Möglichkeiten des zukünftigen Schaffens auf den Kopf gestellt werden.
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Anstatt also die Vergangenheit als einen stabilen Vorläufer der Gegenwart zu positionieren oder die Zukunft als einen progressiven Marsch in die Zukunft zu verstehen, geht es bei Rosner tatsächlich mehr um die Materialisierung von Geschichten, und (in ihrem Fall) darum ganz bestimmte technokratische Mythen (vielleicht auch Missverständnisse) und letztlich die beinah schon traditionellen „Teleologien“[2] von Innovation herauszufordern und umzuarbeiten. Weg also von einer Rationalisierung der Gestaltung, weg von einer mathematischen, formelhaften, logischen Stringenz, stattdessen den Fokus auf narrative, vielleicht emotionale, mythische, mystische, nicht-rationale, vielleicht transzendente Bereiche gerichtet.
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Gerade an den gestalterischen Schnittstellen zum Engineering[3] ist das sicher keine Selbstverständlichkeit. In anderen subdisziplinären Teilbereichen des Designs bleibt da bisweilen mehr Raum fürs „Subjektive“, das „Individuelle“, das „Eigenartige“. Angefeuert auch durch den Modernismus wurde das „Objektive“ im Design lange Zeit großgeschrieben. Doch will man das immer? Und funktioniert es zwangsläufig besser? Ist eine Antwort wirklich immer so allgemeingültig, wie diejenigen die sie formulieren es gern hätten?
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Der spekulative, fabulative Gestaltungsansatz würde hier auch bedeuten, Geschichten zu erzählen oder einzufangen und dabei nicht zwangsläufig die „allgemeingültigen“, sondern womöglich subjektiven Wahrnehmungen zu rekonstruieren. Nicht, um das Faktische zu negieren, sondern ein Andersmöglichsein (Geiger 2018) aufzuzeigen, zuzulassen oder zu ergründen. Andere Möglichkeiten – auch des Vergangenen – im Gegenwärtigen und in der Zukunft.
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Das „Fabelhafte“ wäre in diesem Zusammenhang nicht mehr und nicht weniger als eine Form des Storytellings, in der Reales und Imaginäres miteinander vermischt werden, um die Welt um uns herum neu aufzubauen.
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Das gilt zumal fürs Design selber. Nicht nur, um zu zeigen, dass andere Positionen, andere Perspektiven, andere Denkansätze und Methoden des Weltenbauens möglich sind, sondern (eben dadurch) auch in Bezug darauf, einen dominanten Kanon herauszufordern. Mit Blick auf einen großen Teil der designhistorischen Publikationen und Lehrpläne, schimmert nach wie vor die Tendenz zur Hervorhebung weithin gefeierter Gelehrter durch. Protagonisten die der Designdisziplin durchaus einiges zu bieten hatten, aber leider wenig über die hegemonialen (kolonialen, patriarchalen, …) Vermächtnisse beizutragen haben, die das Design seit langem prägen.
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Es geht folglich auch darum, konventionelle Modi des Erkennens (beispielsweise von Geschichte/n) und die Möglichkeit rund um das Machen von Zukunft auf den Kopf zustellen. Rosner wird hier durchaus konkret und schlägt mehrere Möglichkeiten vor, den Designprozess zu informieren (die an dieser Stelle nur kurz angerissen werden sollen):
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Alliances
Allianzen (dies- und jenseits der Disziplin) bilden +
Allianzen (dies- und jenseits der Disziplin) bilden +
Recuperate
„Auslöschungen“ wiederherstellen. Um den Fokus auf bis dato „im Schatten“ befindliche Themen zu richten, können Designer*innen hinterfragen, welche Geschichten der Praxis unterdrückt oder ausgelöscht wurden. +
„Auslöschungen“ wiederherstellen. Um den Fokus auf bis dato „im Schatten“ befindliche Themen zu richten, können Designer*innen hinterfragen, welche Geschichten der Praxis unterdrückt oder ausgelöscht wurden. +
Interfere
In dominante Erzählungen eingreifen. Um Designer*innen für totalisierende Gesten zu sensibilisieren, die die Herstellung von Zukunft durch die einen für die anderen darstellen, könnten sie fragen: Welche Darstellungen speisen ein vorherrschendes Designnarrativ? Wen repräsentieren sie? +
In dominante Erzählungen eingreifen. Um Designer*innen für totalisierende Gesten zu sensibilisieren, die die Herstellung von Zukunft durch die einen für die anderen darstellen, könnten sie fragen: Welche Darstellungen speisen ein vorherrschendes Designnarrativ? Wen repräsentieren sie? +
Extend
Bestehende Formen der Zirkulation erweitern. Formen kollektiver Autorschaft unterschiedlicher Akteure im Blick behalten. +
Bestehende Formen der Zirkulation erweitern. Formen kollektiver Autorschaft unterschiedlicher Akteure im Blick behalten. +
Zweifellos sind derartige Strategien von allen Seiten denkbar. Von ganz unten bis ganz oben. Von ganz links bis ganz rechts. Letzteres äußert sich mitunter in den romantizierenden Entwürfen „traditioneller“ Gesellschaften die sich darin als reaktionäre Verteidigungsstrategie gegen den Einfluss eines global vernetzten, divers strukturierten Modernismus zu schützen versucht und in einer teilromantisierenden, eskapistischen, rückwärtsgewandten Utopie gegen eine pluriversale Gesellschaft formuliert wird. Den Versuch der Beschreibung einer solchen rückwärtsgewandten – und somit im revisionistischen Sinne vorwärtsgewandten – Projektion bezieht ich vor allem auf die geschichtsklitternde Praxis rechter und neurechter Bewegungen. Er lässt ich freilich aus unterschiedlichen Perspektiven – und politischen Denkrichtungen – vollziehen.
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Mögliche, plausible, wahrscheinliche oder projizierte Zukünfte stehen letztlich immer auch in Verbindung zu möglichen, plausiblen, nachgewiesenen, empfundenen oder projizierten Vergangenheiten. Ein mehrdimensionaler, pluridirektionaler Zeitkegel der Un-/Plausibilitäten und der vor- bzw. rückwärtsgewandten Projektionen. Je nachdem, welche Vergangnehit wir projizieren, wird eine andere Form der Zukunft (und Gegenwart) plausibler.
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[1] Daniela K. Rosner on „Speculative Fabulations“, Symposion Speculative Space #1 – Was wären Forschung und Gestaltung ohne Spekulation?, 31. Januar 2020, HAW Hamburg, Department Design.
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