Speclog

25.10.24

Seminar: Navigieren in der Chaos-Welt

Wintersemester 2021/22 +
Das Verhältnis von Navigation und Chaos durchzieht die Kulturgeschichte. Es findet sich konkret-historisch in dem Versuch der frühen Seefahrt die Weltmeere zu durchqueren, tangiert dabei die Geschichte der Astronomie, des Uhrenbaus, des Kolonialismus, der Globalisierung und lässt sich gleichzeitig denken im Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt: Wahrnehmungen, Orientierungsmöglichkeiten, Raumvorstellungen, Spekulationen, Gangarten, virtuelle Welten – dies alles sind Begriffe, die im Spannungsfeld Navigation – Gesellschaft jeweils spezifische Fragen und Analysmöglichkeiten eröffnen. Zu Navigieren bedeutet bestimmte Parameter in Beziehung zu setzen, einen Zusammenhang herzustellen, der kulturell bestimmt ist. +
Die Künstlerin Patricia Reed beschreibt in ihrem Text „Orientation in a Big World. On the Necessity of Horizonless Perspectives“ Navigation als Syntheseleistung. Es sei eine Mediation zwischen Absicht und zufällig eintretenden bzw. unbekannten Ereignissen und damit weder gleichzusetzen mit einem Ziel noch völlig abgekoppelt von diesem. Navigation ist eine Bewegung oder Zuneigung, die Orientierungs- und Referenzpunkte braucht. Reed schreibt weiter, dass diese Orientierungs- und Referenzpunkte sowohl funktional als auch affektiv bewertet werden können. Die „politics of navigation“ bestünden folglich darin, die Konstruktion dieser Orientierungspunkte zu reflektieren bzw. Aussagen über sie zu machen, ebenso wie sie wahrnehmbar, verständlich und teilbar zu machen. Weiter beschreibt Reed Navigation als ein Kontinuum zwischen Konzept und Materiellem, das vor allem im ständigen Abgleich zwischen tatsächlicher Position und konzeptuellem Artefakt (wie beispielsweise einer Karte) liegt. Das konzeptuelle Artefakt verweist je nach medialem Entwicklungsstand jeweils eigensinnig auf das zu navigierende Territorium oder System. Es formt, so Reed, u.a. die Wahrnehmung und Wahrnehmbarkeit des Territoriums oder Systems, den Möglichkeitsraum seiner imaginierten Befahrbarkeit sowie ein Verständnis von kausalen Beziehungen, aus denen eine Agency erwächst. Das jeweilige Navigationsinstrument, egal ob konkret oder metaphorisch, ist niemals das Territorium, aber es beeinfluss, wie das Territorium oder System gesehen, wahrgenommen, geframed wird. +
In dem Seminar „Navigieren in der Chaos-Welt“ sind wir diesen Verknüpfungen nachgegangen und haben gefragt, wie Ideen des Navigierens mit Wahrnehmungen, Vorstellungen und Möglichkeitsräumen zusammenhängen und welche spezifischen Formen des Navigierens bestimmte Navigationsinstrumente hervorbringen. In einem hybriden Lehrformat wurden die einzelnen Navigationsinstrumente (Blindenhund, Fiktion, Kalender, Songlines, künstlicher Horizont, GPS u.a.) durch das kollektive Erstellen von materiellen Beziehungsdiagrammen analysiert. Diese sind einerseits Gesprächsvehikel und Verhandlungsstütze und überführen andererseits die zu Beginn des Seminars erarbeitete Theorie des durch und durch räumlichen Begriffs Navigation ins Dreidimensionale. +
materielle Beziehungsdiagramme zur Analyse und Verhandlung von Navigationsinstrumenten
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