Um in der Forschung ebenso wie in der Gestaltung zu Fragestellungen, Annäherungsweisen, Hypothesen, methodischen Strategien, Lösungsansätzen und Erkenntnis zu gelangen, erscheint es phasenweise unumgänglich, ausgetretene Pfade zu verlassen und den Blick über den Tellerrand zu wagen.
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Die Konfrontation mit dem Unbekannten drückt sich gemeinhin in dem aus, was allem Forschenden, Spekulierenden, Gestaltenden zugrunde liegt: der Exploration. Man erkundet, untersucht, ergründet, befragt, ermittelt, entdeckt und hinterfragt.
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Im Kontext der spekulativen (Design-)Forschung scheint noch ein weiteres Prinzip von Bedeutung: das der Extrapolation. Die Bestimmung eines Verhaltens über den gesicherten Beweis hinaus. Anders ausgedrückt: die Erweiterung einer Theorie oder Hypothese über den Sektor der unmittelbaren Erfahrung hinweg.
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Die – vielleicht (ab-)schätzende, mutmaßende – Annäherung vermag dabei durchaus auf der Ausgangslage bekannter Werte oder Fakten basieren, durchschreitet jedoch unweigerlich auch Territorien jenseits des bekannten, nachgewiesenen, zuverlässigen Bereichs. In diesem Sinne bedeutet Extrapolation, etwas abzuleiten, was „nicht explizit aus den vorhandenen Informationen hervorgeht“[1].
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Im spekulativen Raum der (Design-) Forschung – etwa mit Blick auf Design Fiction etc. – ließe sich Extrapolation somit als eine Art im Objekt manifestiertes, dingliches, visuelles oder ähnlich gestalterisch praktiziertes Fortspinnen von (z.B. wissenschaftlichem) Faktenwissen begreifen, das darauf ausgerichtet ist, irgendwie prognostizierbare oder auch gänzlich unvorstellbare kulturelle, technische, soziale Strukturen, Phänomene und Entwicklungsprozesse zu konstruieren, zu thematisieren oder diskutabel zu machen.
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Design bewegt sich hier – wie so oft – zwischen den Disziplinen, und kann somit auch mit unterschiedlichen Schwerpunktausrichtungen umherwabern. An den Schnittstellen etwa zu technischer, naturwissenschaftlicher, soziologischer, philosophischer oder ökonomischer Extrapolation (was auch immer das genau sein mag. Darüber ließe sich hier noch trefflich spekulieren!).
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Spannend hierbei ist ja nicht zuletzt, dass sich innerhalb der dadurch verfügbaren Bezugsrahmungen womöglich das ein oder andere der dortig etablierten, erkenntnistheoretischen Modelle reform(ul-)ieren ließe. Zumal Design ja in der Regel in gleich mehreren Parallelwelten unterwegs ist: der Imaginären, der Symbolischen, der Realen, und mitunter auch dem Kontrafaktischen.
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Und tatsächlich: Mindestens ein Unterschied der gestalterischen Extrapolation – etwa gegenüber zur naturwissenschaftlich basierten – ließe sich identifizieren: In vielen Wissensdisziplinen basiert die Extrapolation auf der Annahme von Regelmäßigkeiten. Diese spiegelt sich etwa in der Tendenz wider, „vergangenheitsorientierte Regeln und Gesetzmäßigkeiten abzuleiten“[2] und diese in die Zukunft zu extrapolieren, das heißt „aus Bekanntem unter Voraussetzung gleichbleibenden Verlaufs [zu] erschließen“.[3]
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In der Mathematik etwa bezeichnet man mit Extrapolation die näherungsweise Bestimmung von Funktionswerten „außerhalb eines Intervalls aufgrund der innerhalb dieses Intervalls bekannten Funktionswerte“[4]. Eine Hochrechnung, beispielsweise, wird auch als statistische Extrapolation bezeichnet. In der Wirtschaftssoziologie hingegen bezeichnet man mit Extrapolation die „Schätzung (…) einer unbekannten Variablen aus zwei oder mehr bekannten Variablen bzw. die Fortschreibung der in einer Datenreihe enthaltenen, auf die Vergangenheit bezogenen Werte in die Zukunft“[5]. Dieser Vorgehensweise liegt die Annahme zugrunde, dass die „in der Vergangenheit festgestellte Regelmäßigkeit, z.B. ein Trend[6], sich auch in der Zukunft fortsetzen wird“. [7]
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Zweifellos lassen sich einige dieser operativen Muster stichhaltig in die Verfahrensweisen verschiedener subdisziplinärer Teilbereiche des Designs übertragen. Zu bedenken gilt es jedoch auch, dass wir es sowohl beim Design als auch bei der Genese möglicher Zukünfte mit komplexen Sachverhalten, Wicked Problems [8] und jeder Menge Unbekannten zu tun haben.
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Spätestens hier stellt sich die Frage nach den Möglichkeitsräumen im Umgang mit Kontrafaktizität, denn gerade im Designkontext gilt es diesen in all seinen mal mehr, mal weniger seriösen Ausprägungen zu durchdringen. Dies umfasst sowohl den bewusst manipulativen Umgang mit Vorgetäuschtem wie z. B. im Falle von Fake News, als auch spekulative Verfahren die vielleicht eher mit dem Ansatz der „kontrafaktischen Geschichte“ vergleichbar erscheinen. In der Geschichtswissenschaft dient diese mitunter als probates Mittel zur denkbaren Fortschreibung von Alternativgeschichte als Gedankenspiel unter Bezugnahme auf historische Quellen (Vgl. auch Alternate History, Parahistorie, Imaginäre Geschichte, Virtual History, Potenzielle Geschichte, Eventualgeschichte, Ungeschehene Geschichte, Uchronie). Im Unterschied zu Fake News oder auch zu belletristischer Fiktion[9], kann diese durchaus erkenntnisgetrieben sein. Eine Art analytisches Verfahren also, dessen Aussagen auf eingeschränktem Wissen basieren und anhand von mutmaßenden Herleitungen getroffen werden, und bei dem nicht verhohlen wird, dass die getätigten Spekulationsverfahren nicht wirklich verifizierbar sind, ihr Wert somit eher heuristisch ist.
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In Bini Adamczaks sehr gutem Buch "Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkmann" (Edition Assebmlage, 2017) finden sich auf S. 19 vier Grundsätze nach Jörg Roesler, die eine Eventualgeschichte befolgen sollte. Dazu gehört etwa, dass keine Forderungen an die historischen Akteur*innen herangetragen werden, "die nicht zu ihrer Zeit geäußert wurden" oder dass die Entwürfe realitätsnah, d.h. den lokalen und zeitlichen Logiken entsprechend formuliert werden. Diese Grundsätze können möglicherweise im Kontext des hier im folgenden Absatz genannten "Grat zwischen Sinnhaftem und Mumpitz" bedeutend sein.
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Der Grat zwischen Sinnhaftem und Mumpitz bleibt hierbei zugegebenermaßen – wie so oft – schmal. Gleichwohl besteht die Chance und Pflicht der Spekulativen (Design-)Forschung vermutlich genau darin: vermeintliche Regelmäßigkeiten aufzubrechen und zu entlarven, und den Blick in das Unbetretene, Schleierhafte, Nebulöse, Beängstigende, Verheißungsvolle, Grauenhafte und Fantastische zu wagen.
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[1] https://whatis.techtarget.com/de/definition/Extrapolation-und-Interpolation [Zugriff: 25.04.2020]
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[2] Kugler, Sascha / Jander-Eble, Hendrik v. (2018): Markenmanagement mit System. Springer-Gabler, Wiesbaden, S. 2
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[6] Vgl. Trendexploration in: Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.) (2013): Kompaktlexikon Wirtschaftstheorie. Springer-Gabler, Wiesbaden, S. 104
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[8] Bieling, Tom (2020): Wicked Problems mehr denn je?! Gedanken zu Horst Rittel. In: DESIGNABILITIES Design Research Journal, (7) 2020.
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